2013•054 - T E X T:
steinalt bin und so ein richtig romantisches
Haus am See habe. Es steht am Ende einer
Straße und Orangenbaumblätter liegen
auf dem Weg. Ich sitze gemütlich in
meinem Schaukelstuhl und bin körperlich
eigentlich kaum noch in der Lage, irgendwas
anderes zu tun, als den ganzen
Tag in diesem Schaukelstuhl zu sitzen.
Und ich habe mein ganzes Leben hinter
mir. Dann frage ich mich:
Auf WAS will ich zurückblicken? Auf was
KANN ich zurückblicken, und darauf
wirklich wirklich stolz sein? Was kann es
sein, das mich am Ende meines Lebens
dazu verleiten wird, aus vollem Herzen
zu sagen: Du kannst zufrieden sein mit
deinem Leben. Denn du hast was daraus
gemacht. Du hast deine Chance wirklich
genutzt.
Auf was will ich zurückblicken?
Die Freude, die ich hatte?
Eine Karriere, die ich beneidenswert bravourös
hingelegt habe?
Die persönlichen Erfolge, die mich von
den Misserfolgen meiner Mitstreiter abhoben?
Das Wissen, das ich so vortrefflich fleißvoll
angehäuft habe?
Die Liebe, die ich mit meiner Frau geteilt
habe?
Das ganze Geld, das ich bis dahin verdient
habe?
Die wundervollen Kinder, die ich in die
Welt gesetzt habe?
Die schönen kleinen Momente, die das
Leben eben ausmachen?
Wie kann ich signifikant leben? Wie kann
ich die eine einzige Chance, die ich habe,
so nutzen, dass ich mit den Gaben, Talenten
und Möglichkeiten, die mir gegeben
sind, nicht nur an der Oberfläche kratze?
Würde ich hier an Ort und Stelle erschossen
werden, oder noch hundertundelf
Jahre leben; was wäre der Unterschied,
den ich auf dieser Welt hinterlassen will?
Liebe Abiturienten.
Ich will nicht so wirken, als wüsste ich’s.
Das tue ich nämlich nicht. Ich bin jung,
naiv und voller Tatendrang, und ich
möchte euch nur ein wenig dabei helfen,
wichtige Fragen zu formulieren. Die Antworten
muss früher oder später jeder für
sich selbst herausfinden. Denn heute ist
der Tag, an dem wir uns fragen: Wo will
ich eigentlich hin? Jetzt nach der Schule
– Und auf lange Sicht. Einen Menschen
macht aus, wer er ist und was er kann;
wer ihr seid und was ihr könnt, das wisst
ihr jetzt. Aber einen Menschen macht
mindestens genauso aus, wohin er sein
Leben lenken und leiten will, oder eben
tragen und treiben lässt. Wenn ihr wisst,
wer ihr seid und wohin ihr wollt, werdet
ihr viel bewusster, viel bestimmter, viel
selbstsicherer LEBEN.
Manchmal stelle ich mir vor, wie ich steinalt
bin und so ein richtig romantisches
Haus am See habe. Es steht am Ende einer
Straße und Orangenbaumblätter liegen
auf dem Weg. Ich sitze gemütlich in
meinem Schaukelstuhl und bin körperlich
eigentlich kaum noch in der Lage, irgendwas
anderes zu tun, als den ganzen
Tag in diesem Schaukelstuhl zu sitzen.
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